Ein Renaissance-Garten im Alten Land
Im Rahmen des gartendenkmalpflegerischen Konzeptes für den Landkreis Stade zu den Anlagen am Schloß Agathenburg habe ich neben der Bearbeitung des 100 Jahre alten Landschaftsparks auch die Bedeutung der Spuren des Großen Gartens hervorgehoben. Dieser Garten entstand mit dem Bau des Schlosses 1655 durch Graf Hans Christoph von Königsmarck. Im dreißigjährigen Krieg zu reichlich Beute gekommen, hat der (in schwedischen Diensten stehende) Graf am Rand der Geestkante, mit Blick Richtung Elbmarsch das repräsentative dreistöckige Schloß bauen lassen. In den feuchten Wiesen am Fuß der Geestkante lies er einen quadratischen Garten mit den typischen Merkmalen der Renaissance anlegen.
Die älteste erhaltene Abbildung des Großen Gartens findet sich auf dem Plan von J. G. Höök aus dem Jahr 1701. Der dort gezeichnete, fast quadratische Garten hat keinen axialen Bezug zur Architektur des Schlosses. Die Anlage wird von Gräben eingeschlossen. Christian Kammann hat für sein Buch über die Renaissancegärten in Bremen-Verden (Stade, 2012) historische Karten und schriftlichen Quellen ausgewertet. Alte Rechnungen lassen auf eine gartenbauliche Nutzung in der durch Wegeachsen gegliederten Anlage schließen. Die Quellen geben eine relativ genaue Beschreibung des Gartens wider und ermöglichen den Versuch einer zeichnerischen Rekonstruktion.
Dies sind seine Gestaltungsmerkmale:
- gute Sichtbarkeit vom höher gelegenen Schloss
- rechtwinklige Struktur
- jedoch keine Ausrichtung auf architektonische Achsen des Schlosses oder des Schlosskomplexes
- nahe, aber deutlich separate Lage, Wege und Brücken führten zum Garten
- allseitige Abgrenzung nach außen durch einen Wassergraben
- teilweise Einfassung durch einen Wall innerhalb des äußeren Grabens
- weiß gestrichene Tore und seitliche Zäune sichern den Zugang über die Brücken
- die Gesamtgröße basiert auf einem Quadrat
- 2-Achsen-Symmetrie für den gesamten Garten
- der Garten hat eine eindeutige Mitte (Zentrum)
- das Zentrum basiert wiederum auf einem Quadrat
- 4-Achsen-Symmetrie für das Zentrum des Gartens
- allseitiger Wassergraben um das Zentrum des Gartens
- zusätzliche innere Wassergräben zur Abteilung der beidseitigen Seitenstreifen
- vermutlich Obstgehölze auf den Seitenstreifen
- äußere Einfassung durch Hainbuchenhecken
- innere Teilungen mit Buchshecken
- vermutlich zeitweise Verwendung auch als Nutzgarten
Mögliche Vorbilder
Zahlreiche der um 1650 sehr verbreiteten Abbildungen von Merian könnten v. Königsmarck als Vorbilder für den Garten in Agathenburg gedient haben. Dazu gehören neben französischen Gärten, wie den am Schloß Chenonceaux, auch Hellbrunn bei Salzburg, Schlackenwerth in Böhmen oder Oranienburg in Brandenburg. Den Garten an der Festung Bremervörde hat Graf Carl Gustav Wrangel, ein Schwager v. Königsmarcks anlegen lassen. Die in Agathenburg ebenfalls verwendeten Gestaltungsmerkmale habe ich in den folgenden Abbildungen farblich hervorgehoben.
Agathenburg und seine Spuren bis Heute
Im Jahr 1740 fallen Schloß und Gutsanlagen an das Kurfürstentum Hannover. Christian Kammann bezeichnet die Kurhannoversche Zeit als zweite Blütezeit für Agathenburg: „Wie schon rund 100 Jahre vorher fand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erneut eine beachtliche Kultur ihren Ausdruck im Agathenburger Schloss und seinen Gärten“. Die letzten schriftlichen Quellen von 1835 beschreiben den Großen Garten mit Hauptallee, Stegen und Brücken. Im Urkataster um 1872 ist der Garten nicht mehr dargestellt. Vermutlich hat der in den 1870er Jahren in Cuxhaven geplante Bau eines neuen Hafens zur Einschiffung von Passagieren auf die immer größeren Passagierdampfer zur Aufgabe des Großen Gartens beigetragen. Zur Anbindung an Hamburg wurde mit dem Bau der Bahnlinie Hamburg-Cuxhaven begonnen und die Fläche des Großen Gartens durch Gleise vom Schloss getrennt.
Heute wird die gesamte Fläche des ehemaligen Großen Gartens durch die Stader Saatzucht als Acker genutzt. Auf Satellitenbildern lassen sich bis heute anhand unterschiedlicher Feuchtigkeitsverhältnisse die alten Strukturen des Gartens erahnen. Erhalten sind noch Reste der äußeren Gräben und die Wasserzuläufe aus den Teichen nördlich und südlich des Schlosses.
Versuch einer Rekonstruktion
Ich halte eine Rekonstruktion dieses bemerkenswerten Gartens für möglich. Damit dieser schwer vorstellbare Gedanke nicht nur eine abstrakte Idee bleibt, habe ich nach den historischen Plänen und den von Kammann zitierten Quellen eine zeichnerische Rekonstruktion versucht. Gartenarchäologische Grabungen müssten weitere Aufschlüsse z.B. über die Lange und Tiefe der Gräben oder die Lage der Wege geben. Um die historischen Befunde zu sichern, wären Grabungen vor einer Neuanlage des Gartens unverzichtbar. Mein Rekonstruktionsversuch und die unten gezeigten Fotomontagen verstehe als ein Modell zum Weiterdenken.
Der Neue Große Garten besteht aus wenigen grundlegenden Elementen: Wassergräben, Wälle an den drei Außenseiten, Hainbuchenhecken um die äußeren Quartiere, Buchsbaumhecken (alternativ Liguster) im Zentrum des Gartens, 80 Obstbäume, Kieswege und Holzbrücken. Zwei Unterstände flankieren den Eingang an Stelle der historisch belegten Gerätehäuser. Ich habe auf die Darstellung von Nutzbeeten oder Zierbeeten verzichtet, da diese nicht ausreichend belegt sind und darüber hinaus eine zukünftige fachgerechte Bewirtschaftung kaum realisierbar erscheint. Eine gemeinnützigen Initiative könnte die Unterhaltung des Gartens übernehmen, seine Anlage durch Sponsorengelder und/oder EU-Fördermittel finanziert werden.
Im Flächennutzungsplan der Gemeinde sind hier die Anpflanzung von Gehölzen und Flächen für Maßnahmen für Schutz, Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft vorgesehen. Möglicherweise entsteht hier ein Interessenkonflikt. Mit der Rekonstruktion des großen Gartens könnten jedoch diese Ziele verwirklicht werden.
Interessierten Leser*innen kann ich einen Einblick in die ausführlicheren Texte meines Gutachtens ermöglichen.